Kanalbau in Köln
Herr Trier, das Bruchstück einer Marmorstatue der Liebesgöttin Venus ist eines Ihrer Lieblingsstücke im Museum. Warum gerade dieses?
Da muss ich ein wenig ausholen und auf die Umstände dieses besonderen Fundes aus dem Herzen der Kölner Altstadt eingehen:
Anfang der 2000er Jahre starteten die Stadtentwässerungsbetriebe gewaltige Sanierungsmaßnahmen am Kanalnetz der Kölner Innenstadt. In einem Quartier nach dem anderen wurden umfangreiche Baumaßnahmen umgesetzt, um die teilweise rund 100 Jahre alten Leitungen zu erneuern. Auch die belebten, tagtäglich von Tausenden frequentierten Fußgängerzonen in bester City-Lage, allen voran die Hohe Straße, blieben davon nicht verschont!
Der Gedanke, die Sanierung auf hunderten von Metern im offenen Graben umzusetzen, Passanten den Blick in die dekorierten Schaufenster oder gar den Zugang zu den Shopping-Tempeln zu erschweren, trieb allen potentiell betroffenen Geschäftsleuten die Zornesröte ins Gesicht. Alternativen mussten her: So wurden die Kanalerneuerungen in einem Untertage-Stollen vorgenommen, den man über einen Zugangsschacht und Treppen, die in der Marspfortengasse – einer wenig begangenen Seitenstraße positioniert waren – erreicht hat. In dem mannshohen Stollen, der mehrere Meter unter dem Straßenpflaster, bergbauartig ausgebaut wurde, waren auch die Archäologinnen und Archäologen des Römisch-Germanischen Museums aktiv, um der Geschichte der ältesten und prominentesten Straße Kölns auf den Grund zu gehen.
Die Hohe Straße liegt heute noch auf einer der beiden Hauptstraßen des römischen Köln. Was macht ausgerechnet sie zur ältesten und prominentesten Straße?
Sie ist die Mutter aller Straßen in Köln!
Tatsächlich reichen die Anfänge der Hohen Straße wohl bis in die Jungsteinzeit zurück! Schon vor mehr als 5.000 Jahren dürfte sich die Trasse als viel genutzter Trampelpfad auf hochwassersicherem Gelände entlang der Abbruchkante zur Rheinaue geschlängelt haben. Im rechtsrheinischen markiert der Mauspfad eine vergleichbare Verkehrsachse. Hier reihen sich links und rechts des Wegs vorgeschichtliche Grabhügel, die sich unter Wald abschnittweise noch gut erhalten haben. Links des Rheins sind die vorgeschichtlichen Relikte hingegen längst der massiven Bebauung zum Opfer gefallen. Nur ab und zu weisen vorrömische Funde auf untergegangene Kulturen hin.
Aus diesem unscheinbaren Trampelpfad machten die Römer mit Beginn der Okkupation des Rheinlands eine High-Tech-Straße, die von Süden kommend die gesamte antike Stadt querte. Anfangs mit Kies geschottert und über Gräben entwässert, wurde der Cardo maximus, wie man die Straße nennt, schon Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus mit großen Trachytplatten gepflastert. Unter dem Straßenpflaster verlief ein ausgeklügeltes System von Abwasserkanälen. Tiefe Fahrspuren zeugen von der Intensität des Warenverkehrs. Links und rechts der Prachtstraße verliefen Laubengänge, an die sich Geschäfte, Wirtshäuser und Gebäude der öffentlichen Hand anschlossen. Im antiken Köln konnte man Waren aus allen römischen Provinzen erwerben, wenn man das nötige Kleingeld hatte: Weine aus Kleinasien, Olivenöle aus Spanien, würzige Fischsaucen aus Süditalien und vieles andere mehr. Es fehlte an nichts.
Wann kommt aber die Venusfigur ins Spiel und in die Straße?
Nun, die Zeiten änderten sich. Immer mehr Landschaften des römischen Reiches rutschten im Laufe des 3. Jahrhunderts in eine tiefe militärische, politische und gesellschaftliche Krise. Auch Köln blieb davon nicht verschont. Die Wirren hatten Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Das Pflaster des Cardo maxmius war im Laufe der Zeit jedenfalls so schadhaft geworden, dass es ausgebessert werden musste. Die teils weit entfernten Steinbrüche im Umland Kölns waren oft nicht mehr in Betrieb. Also bediente man sich bei der Straßenreparatur der Steine, die nicht mehr zwingend benötigte. Grabmäler, Weihesteine, Gebäudeteile und anderes mehr wurden zweckentfremdet recycelt und im 4. Jahrhundert als Pflastersteine im Straßenbelag verbaut.
Und das war das Schicksal dieser Venus?
Genau, auch einer kostbaren Marmorstatue blieb dieses profane Schicksal nicht erspart. Ursprünglich wurde die knapp unterlebensgroße Statue aus hochwertigem weißem Marmor von einem Bildhauer in Italien gefertigt. Auf dem Schiffsweg gelangte sie von dort nach Köln, um dort die vornehme Villa einer wohlhabenden römischen Familie zu zieren. Irgendwann wurde sie dann zerschlagen. Während die meisten Marmorobjekte in die Brennöfen wanderten, um daraus Kalk für Baumörtel zu gewinnen, machte man aus unserer „kölschen“ Venus einen Pflasterstein. Der Oberkörper der jungen Dame, noch knapp 35 cm hoch erhalten, wurde kurzerhand mit der Brust nach unten und dem Rücken nach oben im spätantiken Straßenpflaster verbaut. Dort erfüllte der Stein seine Funktion offenkundig bestens, denn auf dem Rücken des Fundes kann man die Spuren ehemaligen Lastverkehrs erkennen!
Die Fragen stellte Kathrin Jaschke vom Museumsdienst Köln.
Archäologie im Kanalstollen unter der Hohe Straße (Bild: RGM, U. Karas)
„Kölsche“ Venus im Belgischen Haus (Bild: RGM, M. Trier)
Dem Rücken hat der Lastverkehr zugesetzt (Bild: RGM, M. Trier)